„Niemand ist bei den Kälbern“: Interview mit Alina Herbing

„Ich habe sehr viel experimentiert“

Alina Herbing hat ein Buch über das Landleben geschrieben und ich habe sie dazu ausgefragt. Ich bin übrigens selbst auf dem Land aufgewachsen und nenne zwei Paar Gummistiefel mein Eigen (ein Paar zum Ausgehen) – falls ihr noch Bedarf an Buch oder Gummistiefeln habt (ich empfehle beides!), beantwortet bis zum 20.2.17  die unten stehende Frage. Doch nun ist erst einmal die Autorin mit dem Antworten dran.

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Leben in einem Dorf in Mecklenburg – nach der Lektüre möchte man das eher nicht. Also ich nicht, und ich mag es ruhig. Du bist in der Gegend aufgewachsen. Wars so schlimm?

Für mich war es nicht so schlimm wie für Christin im Buch, aber anders schlimm. Es gibt viele Menschen, die sich in Mecklenburg sehr wohlfühlen und ich bin auch meistens gern dort, für eine begrenzte Zeit.

Das Buch geht mit einem starken Bild los – ein getötetes Rehkitz, das zum größten Teil unsichtbar bleibt und trotzdem sehr eindrucksvoll beschrieben ist. Als ob du sichergehen wolltest, dass auf keinen Fall der Eindruck von Landidylle entsteht. Täusche ich mich da?

Das zerhäckselte Rehkitz war einfach der erste Gedanke des Romans. Als Kind wurde auf den Feldern hinter unserem Dorf auch mal ein Kitz beim Mähen erwischt, das Geschwisterchen hat der Bauer meiner Mutter gebracht und wir haben es mit der Milch unserer Ziegen aufgepäppelt. Duftendes Heu gibt es ja kaum noch auf dem Land, tote Tiere und Güllegestank aber schon. Das wollte ich nicht ausschließen, wenn ich einen Roman schreibe, der in Dörfern spielt.

Ich hätte mir beim Lesen manchmal gern die Augen zugehalten, wenn Christin Dinge tut, die sie vernünftigerweise lieber nicht täte. Wie ist dein Verhältnis zu ihr? Hat sie dich manchmal genervt?

Ja, hin und wieder schon, aber sie ist eben nicht mutig und stark, sie ist sehr allein und nicht besonders selbstbewusst. Ich wollte keine Protagonistin, die mir zu ähnlich ist, ich wollte eine eigenständige Figur, mit der es auch manchmal schwierig werden kann.

Überhaupt, wie stehst du zu den Protagonisten und Protagonistinnen? Hättest du sie manchmal gern weicher gezeichnet? Oder gar härter? Wie hast du für dich entschieden, was zu viel oder zu wenig ist?

Diese Fragen müsste ich für jede Figur ganz individuell beantworten. Manche standen relativ schnell fest, an anderen habe ich viel länger gearbeitet und sie immer wieder geschärft, neue Szenen eingebaut oder ihnen winzige Eigenschaften gegeben, die viel verändern. Wichtig war dabei auch für jede Figur eine eigene Sprache zu entwickeln. Bis zum Schluss habe ich noch an einzelnen Wörtern gefeilt.

War es schwierig, den zum Inhalt passenden Ton zu finden? Wie viel hast du mit deiner eigenen Sprache experimentiert?

Ich habe sehr viel experimentiert, von Anfang an, mit verschiedenen Perspektiven, mit der Erzählstimme und auch mit der Sprache jeder einzelnen Figur. Dabei war es oft schwierig, in den sehr reduzierten Dialogen Informationen und Stimmungen unterzubringen und die Sprecher zu charakterisieren.

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Was für eine Persönlichkeit sollte man deiner Meinung nach haben, um auf Jans Hof glücklich zu werden? Muss man sich in sein Schicksal fügen wollen oder gibt es andere Aspekte?

Wenn man sich nichts Schöneres vorstellen kann, als Milchbauer in Mecklenburg-Vorpommern zu sein und einem die ständige Bedrohung der instabilen Milchpreise nichts ausmacht, ist man auf so einem Hof bestimmt glücklich, vor allem, wenn man mit Menschen dort wohnt, bei denen man sich geliebt und geborgen fühlt.

Haben die Bewohnerinnen und Bewohner von Schattin sich zu dem Buch geäußert?

Mir gegenüber noch nicht. Ich bin gespannt, was sie dazu sagen, dass ich dem Dorf im Buch diesen Namen gegeben habe. Der Roman spielt aber nicht in dem echten Schattin. Vorbild war für mich ein anderer Ort, den ich aber so verwandelt habe, dass er zu der Geschichte passt.

Warum wolltest du ein Buch zum Thema „tristes Landleben“ schreiben? Ist das Thema damit für dich abgeschlossen, kommen jetzt Sandalenthemen? Oder möchtest du noch bei den Gummistiefeln bleiben?

Ich wollte nie ein Buch über tristes Landleben schreiben. Diese Wertung hat das Buch eher nachträglich von außen bekommen. Ich habe mir gar nicht vorgenommen, zu einem bestimmten Thema zu schreiben und ich glaube, dass man meinen Roman auch nicht darauf reduzieren kann. Der Ausgangspunkt ist eine relativ alltägliche Szene des Landlebens. In meiner Kindheit und Jugend hatte ich viele solcher oder ähnlicher Szenen erlebt und auch darüber hinaus Menschen getroffen, die Konflikte mit sich herumtragen, die denen der Romanfiguren ähneln. Ich fand es spannend, Figuren zu erschaffen, die diesen Konflikten ausgesetzt sind, zum Beispiel Frauen, die nichts anderes kennen als in so einer männerdominierten Gesellschaft aufzuwachsen. Wie geht es denen dort? Was passiert eigentlich, wenn die Globalisierung auf winzige, lange weitestgehend abgeschottete Dörfer trifft? Das waren eher Fragen, die ich mir beim Schreiben gestellt habe.

Vielen Dank!

Meine Frage an euch: Wie steht ihr zum Landleben? Gummistiefelidylle oder Güllegrauen? Warum?

Teilnahme bis einschließlich 23.2.2017 möglich
Gewinne:
Preis 1: 1 Paar Gummistiefel + “Niemand ist bei den Kälbern” von Alina Herbing in Print
Preis 2-5: Je ein Buch in Print “Niemand ist bei den Kälbern” von Alina Herbing
Teilnahmebedingungen :
Mit der Teilnahme am Gewinnspiel erklärt ihr euch mit den Teilnahmebedingungen einverstanden.

15 Kommentare
  1. Daniela Schiebeck sagte:

    Ich mag das Landleben, aber immer auf dem Land leben könnte ich mir nicht vorstellen.

    Liebe Grüße,
    Daniela

  2. Jutta sagte:

    Hallo,
    ich glaube, ich stehe zwischen Idylle und Grauen. Ich möchte das Landleben nicht idealisieren, dafür habe ich genug davon über Freunde mitbekommen, aber andererseits stelle ich mir die Arbeit befriedigend, wenn auch hart vor.

    lg, Jutta

  3. Simone sagte:

    Ha, da muss ich doch antworten, oder :-) ? Ich liebe das Landleben. Ich bin froh, die Tür aufzumachen und gleich im Grünen zu sein, dabei jedoch nicht ständig Leuten begegnen zu müssen, wenn ich nicht will, ich alte Misantropin, ich. Klar, das Landleben hat auch Nachteile. Jeder kennt jede und die Gerüchteküche brodelt manchmal. Zudem sind nicht alle Nachbarn nett (aber das sind sie in der Stadt auch nicht). Aber wenn ich Hilfe brauche, ist da immer jemand zum Ansprechen. Gummistiefel brauche ich übrigens immer :-) – und das Buch klingt spannend.

  4. Estrela sagte:

    Ich bin auf dem Land aufgewachsen und kehre gerne dorthin zurück. Aber ich genieße es, in der Stadt zu leben, auch wenn ich mich dort mit Balkonbepflanzung anstelle eines Gartens begnügen muss.

  5. Antje Ritter sagte:

    Ich wohne wieder ländlich und liebe es. Seit Kurzem reite ich das Pferd der Tochter einer Freundin. Es steht ein paar Orte weiter bei ihnen auf dem Hof. Ich finde es wunderbar, dorthin zu fahren, ich bin total im Hier und Jetzt, wenn ich mit den ganzen Tieren auf dem Hof bin, das Pferd fertig mache, reite, danach noch helfe, die Schafe rauszubringen, den Pferdestall auszumisten – mich macht das glücklich, da ich für diese Zeit an nichts anderes denke. Nichts ist wichtiger in diesen Momenten (es sind in der Regel eher drei Stunden), als dort zu sein und das alles zu tun, ohne an meinen Alltag, irgendwelche Probleme oder Ähnliches zu denken.

  6. Antje Ritter sagte:

    PS: Besagter Hof liegt übrigens auch in einem Dorf in Mecklenburg :)
    PPS: Dies ist auch ein wunderbares Buch zum Thema Dorfleben und wie es sich verändert (hat): Geert Mak: Wie Gott verschwand aus Jorwerd: Der Untergang des Dorfes in Europa

  7. Cordula Natusch sagte:

    Land ist schön – wenn ich da zu Besuch bin. Gern auch mal etwas länger. Aber da leben? Ne lieber nicht. Die langen Herbst- und Wintermonate würden mir wohl aufs Gemüt schlagen. Da bin ich eher Stadtmensch, ich liebe es, alles vor der Nase zu haben. Auch das Land übrigens, dass ja in Hamburg immer nur ein paar S-Bahn-Stationen weg ist.
    Danke für das Interview und dass du das spannende Buch vorgestellt hast.
    LG Cordula

  8. Britta sagte:

    Ich habe drei paar Gummistiefel, eins zum Ausgehen, eins für mit Wollstrümpfe und eins für mit ohne Wollstrümpfe. Ich mag Land und Stadt und kann mich nie entscheiden. Vermutlich wohne ich deswegen auf der Grenze dazwischen. Tiere halten jedenfalls möchte ich nicht, weil ich nicht nur das Land mag, sondern auch andere Länder, in die ich gern fahre. Das spricht gegen Viehhaltung. Dann lieber Gemüse und eine Zeitschaltuhr.

  9. Christian sagte:

    Ich lebe ein Vorortleben. Gegenüber gibt es Pferde. Wenn der Nachbar den Stall lüftet, bin ich quasi auf dem Land. Und ich brauche fünf Minuten mit dem Fahrrad zum ersten alten Bauernhaus. Fünf Minuten in die andere Richtung und ich bin im Supermarkt (Mo-Sa bis 23.59 geöffnet). Das ist genau richtig, wenn man sich nicht entscheiden kann.
    Landleben im Buch ist auf jeden Fall toll. Sagte ich schon, wie großartig „Altes Land“ von Dörte Hansen ist…? Man ist ganz glücklich beim Lesen, freut sich aber auch, dass man da im echten Leben nicht wohnt.

  10. Jacqueline sagte:

    Huhu,

    also ehrlich gesagt, wohne ich auch auf dem Land und ich würde es definitiv nicht ändern wollen. Ich liebe Städte, aber darin wohnen wollte ich dann doch nicht ;)
    Hier ist es einfach etwas ruhiger und persönlicher, das mag ich gern!

    VG
    Jacqueline

  11. Katja sagte:

    Hallo und vielen Dank! Auch wenn das Landleben sicher alles andere als einfach und idyllisch ist, hat es irgendwie etwas beschauliches und ruhiges an sich, zumal ich ein sehr naturverbundener Mensch bin. Außerdem liebe ich Gummistiefel! ;-)

    Lieben Gruß
    Katja

  12. Tiffi2000 sagte:

    Hallo,

    ich lebe auf dem Land und mag das sehr, da ich die Ruhe sehr genießen… natürlich gibt es auch ein paar negative Aspekte, aber die positiven überwiegen ;)

    LG

  13. Ulrike sagte:

    Ich komme selbst aus Mecklenburg, fast vom Land … Kleinstadt … ähnlich „anonym“ ;-)
    Bin nach dem Abi nach Hamburg gezogen, aber wenn ich Rentner bin, ziehe ich zurück … und spätestens dann brauche ich Gummistiefel!

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